Das große Flattern
Nach Sonnenuntergang begeben sich unsere einzigen flugfähigen Säugetiere auf die Jagd. In faszinierenden, schnellen Bewegungen schwirren sie durch die Nacht und so mancher fragt sich: Was ist das? Weil sie tagsüber ruhen, kennen wir unsere heimlichen Untermieter meistens nicht. Dabei sind es bezaubernde Tiere, die für uns Menschen harmlos und wertvolle Gestalter unserer urbanen Ökosysteme sind. Eine Fledermaus verzehrt im Lauf der Nacht bis zu 3.000 Insekten, darunter auch Plagegeister wie Mücken – ein stichhaltiges Argument für ihren Schutz. Leider finden sie immer schwerer genügend Nahrung. Durch landwirtschaftliche Monokulturen und dem Einsatz von Pestiziden gehen die Bestände der Insekten derzeit drastisch zurück. Städte stellen daher wichtige Lebensräume für Fledermäuse dar. Aber auch hier haben sie es nicht leicht. Häufig leben sie versteckt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, beziehen in Dachböden, Bäumen und Fassadenspalten ihr Quartier. Insbesondere Gebäudesanierungen und energieeffiziente Bauten ohne Spalten und Nischen führen zu einem akuten Wohnungsmangel der Berliner Fledermäuse.
Zehlendorf, früh an einem Sommermorgen. Der fröhliche Gesang von Amseln klingt durch die Straßen. Ein Auto holpert über Kopfsteinpflaster, Spatzen zwitschern aus einem Gebüsch. Ansonsten ist es ruhig, die Siedlung liegt verschlafen und friedlich in einer kleinstädtisch anmutenden Idylle. Diese wird aber jäh von einem Fluchen unterbrochen: In der Einfahrt eines Mehrfamilienhauses steht Jules Knight auf einer fünf Meter hohen Leiter und prustet laut bei dem Versuch, einen augenscheinlich schweren Betonkasten an der Hausfassade als eine Art Schablone zu benutzen - offenbar, um etwas zu markieren.
"Jules setzt mit einem Stift da oben Bohrmarkierungen", erklärt Steven Lischke, der am untersten Ende der Leiter seinen Kollegen sichert. Beide sind Mitarbeiter der Stiftung Naturschutz Berlin und für die Koordinierungsstelle Fauna tätig. "Das ist das erste von insgesamt vier Fledermausquartieren, das wir heute auf diesem Grundstück anbringen", erläutert uns Steven und deutet auf den steinernen Kasten, den Jules mit einer Hand festhält, während er mit der anderen Hand die Markierungen setzt. "Wir bringen zwei Kästen an dieser Fassade an und zwei weitere auf dem Grundstück an einer großen dickstämmigen Buche. Es ist wichtig, dass man Fledermäusen mehrere Möglichkeiten bietet, sie suchen sich dann ihr bevorzugtes Quartier oder wechseln je nach Bedarf." Jules gibt Steven ein Zeichen und setzt den Bohrer an. Vier Bohrungen werden benötigt, um den Kasten zu befestigen.
Der Fledermauskasten, der Jules höchste Konzentration abfordert, wiegt zwölf Kilogramm und ist ein sogenannter Spaltkasten. "Wir bringen überwiegend diesen Kastentyp an, denn er lässt sich besonders leicht kontrollieren und wir müssen ihn nicht zusätzlich säubern", erklärt uns Steven. Am oberen Ende der Leiter hat Jules jetzt die Bohrlöcher gesetzt. Wie in Zeitlupe manövriert er den Spaltkasten samt Schrauben an die gebohrten Löcher. Hoffentlich passt alles! Eine Schraube nach der anderen wird im Gemäuer versenkt. "Das sieht gut aus", ruft Jules erleichtert.
Steven Lischke und Jules Knight kennen sich mit den nachtaktiven Flugkünstlern aus. "Mit Hilfe von Bat-Detektoren haben wir in den letzten Wochen diese Nachbarschaft auf Fledermäuse kontrolliert und konnten sogar mehrere Arten nachweisen. Fledermäuse bewohnen neben Baumhöhlen und Felsspalten auch Fassadenverkleidungen, Dachböden oder Mauerspalten von Gebäuden", führt Steven aus. Aus der Perspektive der kleinen Nachtschwärmer führen insbesondere Gebäudesanierungen und energieeffiziente Bauten ohne Spalten und Nischen in den vergangenen Jahren zu einem akuten Wohnungsmangel unter den kleinen Säugern.
Eine sinnvolle Ergänzung der Nistangebote stellen Fledermauskästen dar, die die beiden Fledermausschützer an verschiedenen Orten Berlins anbringen. Durch die regelmäßige Kontrolle der Kästen wissen sie, welche Arten in Berlin wo vorkommen. Insgesamt wurden in der Hauptstadt bisher 18 der 25 in Deutschland lebenden Fledermausarten nachgewiesen.
In diesem Bereich der Stadt wurden bisher vier der in Berlin lebenden Arten beobachtet: Der Große Abendsegler, der früh am Abend fliegt und fast ausschließlich in Baumhöhlen lebt, die Mückenfledermaus und die Breitflügelfledermaus, die beide später am Abend fliegen, und die Zwergfledermaus, die neben der Mückenfledermaus zu den kleinsten der genannten Arten gehört.
Die neuen Fledermauswohnungen dienen später entweder als Wochenstube, eine Art Fledermaus-Kindergarten, als Balzquartier oder auch als "Einzimmerwohnung" für männliche Fledermäuse.
"In einem Quartier wie diesem haben wir einmal 50 Tiere gezählt. Fledermäuse mögen es gerne kuschelig. Die Jungtiere halten sich gegenseitig warm, wenn die Muttertiere auf Beutefang sind", erzählt Steven. "Bis ein neuer Kasten von den Fledermäusen in der Umgebung angenommen wird, kann es allerdings eine Weile dauern, denn Fledermäuse sind sehr gebietstreue Tiere." Ob ein Fledermausquartier belegt oder aufgesucht wurde, stellen Steven und Jules fest, indem sie nach Kotspuren schauen. "Das wäre ein erstes Indiz. Zur richtigen Jahreszeit kann man mit einer abendlichen Anflugszählung feststellen, ob Tiere die Quartiere bewohnen."
Eine weitere Kontrolle der Kästen darf nur durch geschulte Menschen erfolgen. Die Tiere ohne Genehmigung zu untersuchen oder gar zu stören, ist sogar gänzlich verboten.
Jede Art hat ihre eigenen Ansprüche an den Lebensraum. In Berlin können Fledermäuse in Baumhöhlen leben. Auch Gebäude bieten den ehemaligen Felsspaltenbewohnern gute Quartiersmöglichkeiten. Es gibt sogar Fledermausarten, die beides nutzen und zwischen Baum- und "Gebäudehöhle" oder deren Imitaten jahreszeitbedingt wechseln. Ähnlich wie andere Säugetiere halten auch unsere heimischen Fledermäuse Winterschlaf und ziehen sich in geschützte Winterquartiere zurück. In dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass sie nicht gestört werden, da jedes unnötige Aufwachen wertvolle Energie kostet.