Biodiversität am Hahneberg
Mitten in einem Landschaftsschutzgebiet pflegen zwei Parteien eine harmonische Nachbarschaft: Die Naturschutzstation und das Fort Hahneberg in Spandau liegen nur fußläufig voneinander entfernt, beide Orte bieten paradiesische Zustände für eine reiche, biologische Vielfalt. Wo man vom Gipfel des künstlich angelegten, 87 Meter hohen Hahnebergs aus den Berliner Fernsehturm sehen kann, siedeln weiter unten Rauhwollige Pommersche Landschafe, brüten Steinschmätzer und wachsen Birkenwälder. Auf dem 18 Hektar großen Gelände des preußischen Artillerieforts Hahneberg nebenan wird nur die Südseite gepflegt - im restlichen Bereich sollen sich Pflanzen und Tiere völlig ungestört entfalten können.
Wildes Leben in der Naturschutzstation und im Fort Hahneberg
Die Bergböcke Berlins, die Natur als Hauptdarstellerin
Weite Wiesen, Birkenwald, ein Blick in die Ferne vom Gipfel - das Landschaftsschutzgebiet, das die Naturschutzstation Hahneberg in Spandau umgibt, bietet Entspannung im Grünen in Sichtweite zum Fernsehturm. Die wolligen Bewohner freuen sich über Streicheleinheiten. Gleich nebenan erstreckt sich das Gelände des Forts Hahneberg: Auch Brad Pitt musste sich hier an Naturschutzvorschriften halten! Am einstigen Schauplatz der Soldatenausbildung, der Stadtverteidigung und eines Hollywood-Filmdrehs erobert sich die Natur zurück, was man ihr überlässt.
Ja, er ist ein schwarzes Schaf. Aber damit kann Giesbert sehr gut leben. Genüsslich kaut er auf einigen Grashalmen herum, während Lucia Kühn ihn zwischen den Ohren streichelt. "Wenn es ihm gefällt, kann man das sehen, denn dann wackelt er mit dem Schwanz." Und das macht Giesbert. Es scheint ihm außerordentlich gut zu gefallen.
In der Naturschutzstation Hahneberg in Berlin-Spandau lebt der Schafbock in einer großzügig angelegten Wohngemeinschaft. Die riesige Wiese teilt er mit fünf anderen Böcken der Rasse Rauhwolliges Pommersches Landschaf und mit drei Bulgarischen Schraubenhörnigen Langhaarziegen. Bei Wind und Wetter kümmern sie sich als tierische Rasenmäher um den Grasbestand. Lucia Kühn, Biologin und Naturpädagogin, leitet die Naturschutzstation. Sie liebt ihren Job. "Ich bin ein Mensch, der gerne draußen ist, und das bin ich bei meiner Arbeit jeden Tag."
Auf einer Gesamtfläche von 37 Hektar erstreckt sich das Natur- und Landschaftsschutzgebiet Hahneberg, 11 Hektar davon sind Wiese, sechs Kilometer Wanderwege führen durch das Gelände. Den Hahneberg gibt es gleich zwei Mal: Der natürliche Hahneberg hat eine Höhe von rund 67 Metern, sein künstlicher Namensvetter prägt vor allem durch seine Höhe von 87 Metern das Landschaftsbild. Vom Gipfel des letzteren aus eröffnet sich ein weiter Blick über große Freiflächen, Wälder und Hochhäuser bis hin zum Fernsehturm in Berlin-Mitte. "Hier werden die großen Kontraste zwischen Großstadt und Natur offensichtlich", betont Lucia Kühn. "Es ist ein großer Luxus, beides zu haben."
Giesbert und seine Artgenossen sind vor allem bei Kindern gefragt. Die wolligen Vierbeiner haben ganz unterschiedliche Charaktere und fordern zur Freude der Gäste ohne jede Scheu direkt auf der Wiese ihre Streicheleinheiten ein.
Oft sind Kita- und Grundschulkinder zu Besuch, die spielerisch die Stadtnatur kennenlernen können. "Es geht bei uns darum, ein Bewusstsein für die Umgebung zu schaffen, sich in schöne Momente hineinzufinden und Neugier zu wecken", erläutert Lucia Kühn. Ein Igel im Laubhaufen, eine Ameisenstraße auf dem Waldboden, Vögel in der Luft - all das gibt es zu entdecken und wahrzunehmen. Pausen im Stroh, Baumbegegnungen, Malen mit Naturmaterialien und Einblicke in das Leben von Wildbienen und anderen Insekten kommen bei den Kindern sehr gut an. "Das Feedback ist immer sehr positiv, sie wollen meist wiederkommen oder gar nicht erst gehen."
Im Garten der Naturschutzstation wachsen verschiedene Obst- und Gemüsesorten: Tomaten, Zucchini, Physalis und Himbeeren wuchern in Gemeinschaftsbeeten. Um die Gartenabfälle kümmern sich die Regenwürmer in einer Wurmkiste. Die Steinberge auf der Schafswiese werden von brütenden Steinschmätzern bewohnt, Stier- und Frühlingsmistkäfer krabbeln über das Gras.
Giesbert wackelt mit dem Schwanz. Wie könnte es ihm hier auch nicht gefallen?
Am liebsten kommt Sascha Kürten frühmorgens noch vor Sonnenaufgang ins Fort Hahneberg, denn dann ist es hier besonders spannend. "Hier kann man ganz ruhig sein und der Natur zuhören", sagt der gebürtige Spandauer. Durch den knapp einen Kilometer langen Festungsgraben rund um das geschichtsträchtige Fort zieht sich ein imposanter Schluchtwald. Auf dem 18 Hektar großen Gelände findet eine große biologische Vielfalt reichlich Platz: Dort wachsen rund 300 verschiedene Pflanzenarten und unzählige Tierarten finden sowohl im Sommer als auch im Winter sichere Quartiere. Der Waldkauz brütet in den Bäumen, ein Mäusebussard-Pärchen ist hier zuhause, Zauneidechsen sitzen auf warmen Steinen, Schmetterlinge flattern, Schnecken kriechen über das Moos. Füchse, Dachse, Hasen und Kaninchen leben auf dem Gelände des Forts, das sich die Natur nach langer Nutzung durch den Menschen erfolgreich zurückerobert hat.
Das preußische Artilleriefort Hahneberg wurde im Kaiserreich 1888 zur Verteidigung des Rüstungsstandortes Spandau als einziges von vier geplanten Forts in Betrieb genommen. Es diente als Ausbildungsort der Infanterie und des Gardekorps. In den 1920er Jahren nutzte zeitweise eine Segelflugschule mit Modellbauverein das Fort als Unterkunft. Ab 1935 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bildete die Wehrmacht hier Soldaten aus. Später suchten Berliner*innen Schutz bei Fliegeralarm, Verletzte wurden in einem Lazarett behandelt.
Weil es durch Sprengungen unbrauchbar gemacht worden war, nutzten die Berliner*innen die großen Backsteinbestände des als Steinbruch freigegebenen Forts für den Wiederaufbau. Das Fort verfiel, als es ab 1961 im Grenzstreifen der Berliner Mauer lag. Über die Jahre sich selbst überlassen, entwickelte es sich zu einem beeindruckenden Zuhause für Pflanzen und Tiere.
Erst mit der deutschen Wiedervereinigung 1989 rückte das Fort Hahneberg in das öffentliche Bewusstsein zurück. Ein steinerner Reichsadler aus dem Jahr 1938 an der wieder instandgesetzten Zugbrücke des Forts erinnert noch heute an vergangene Zeiten, genau wie die in das Gemäuer eingeritzten Namen ehemaliger Grenzsoldaten.
Die besondere Atmosphäre aus wilder Natur und Zeitgeschichte zieht regelmäßig Filmschaffende an. Neben den ARD/rbb-Produktionen "Das Märchen vom Goldenen Taler" und Horst Evers' Buchverfilmung "König von Berlin" drehte hier im Jahr 2008 Hollywood-Regisseur Quentin Tarantino Szenen für seinen Oscar-prämierten Film "Inglorious Basterds" mit Brad Pitt. "Auch der musste sich an unsere Naturschutzvorschriften halten", unterstreicht Sascha Kürten.
Das Fort Hahneberg steht unter Denkmalschutz und liegt im gleichnamigen Naturschutzgebiet. Ein Zaun rund um das Fort wurde 1991 gebaut. Er besteht aus Originalteilen ehemaliger Grenzzäune. "Berliner Mauer recycelt", sagt Kürten und lacht. Das Fort bleibt naturbelassen, nur die Südseite wird gepflegt. "Wir wollen die Unterkünfte für Tiere wahren und arbeiten daran, alles in diesem Zustand zu erhalten", bekräftigt Kürten.